Leschnitz, die Blütenstadt

 

von Richard Moesler, Oppeln, in: Aus dem Chelmer Lande, Nr. 5/ 1928.


Im Südosten des Annaberges liegt ein Landstädtchen, das im Mai jeden Jahres einen solchen Aufwand an Kraft und Glanz entfaltet, daß es den Neid der ganzen Provinz erweckt. Andere Städte bleiben altersgrau, auch wenn der Lenz einzieht. In Leschnitz streut die Natur aus dem vollsten Füllhorn einen wahren Blütenregen aus und verleiht dem Ort ein jugendfrisches Aussehen.

Nähert man sich dem Städtchen von Deschowitz auf der 6 km langen ebenen Chaussee, so erscheint Leschnitz, vom gekrönten Wallfahrtsberg bescheiden zur Seite gedrückt, im lauschigen Winkel verborgen. Kommt man von Rokitsch, so steht man wie vor einem grünen Eingangstor zu den anschließenden Höhen, und wandert man zu dem Orte aus der Richtung Lichinia, so hat man einen natürlichen Wall vor sich mit schluchtartigen Eingang zum Chelmrücken.

Gewiß hat Leschnitz durch seine Lage am Fuße des Annaberges, mit dem herrlichen Hintergrunde, an sich schon viel Reizvolles; doch hat auch der Mensch das Antlitz der Erde durch prächtige Gartenanlagen verschönt und freundlicher gestaltet. Der Annaberg in der Ferne, die Schluchten zur Seite, verstreute Häuschen an der Berglehne, der Grünschmuck ringsum verleihen dem Landschaftsbilde das charakteristische Gepräge. Die Gärten nehmen sich wie Blumen in einem einzigen Blütenstrauß aus. Pflaumen- und Birnbäume, nicht zuletzt Kirschbäume und später die Apfelbäume suchen sich in Blütenschnee zu übertreffen.

Aus dem bunten Vielerlei der schmucken Bürgergärten leuchten uns rote Kaiserkronen, samtbraune Himmelsschlüsselchen und buntfleckige Stiefmütterchen entgegen. Hie und da flammt rosa der blühende Pfirsich auf und der Magnoliabaum hat die weißroten Blütenbecher auf die Zweige gesetzt, so daß ganze Plätze wie in Feuer getaucht erscheinen.

Biegt man in den Weg zum Josefsstift ein, so glaubt man in einen Irrgarten zu geraten. Der Hohlweg führt in vielfachen Windungen in eine Schlucht. Aus der Ferne wirken frühbelaubte Buchen wie eine grüne Einfassung; sie deuten die Schlucht an. Leider ist der Eingang zur Schlucht kahl geschlagen worden. Der Boden rutscht, und der Wind wirkt verheerend. Die Bäume neigen herüber und drohen zu stürzen. Der unberührte Teil der Schlucht gleicht einer Laube. Die schlanken Stämme halten wie Pfeiler ein Gewölbe aus Gezweig. Die verstreuten Sonnenflecke am Boden belichten die blaßblauen Waldveilchen, die rotblauen Blüten des Lungenkrautes und die knallroten Schmetterlingsblüten der Frühlingsblatterbse. Inmitten des Schattenmooses (Mnium hornum) stehen die weißen Blüten des Sauerklees, und stolz erheben sie die beschopften Samenkapseln des Widertons (Polytrichum commune).

Die Schluchten sind durch die auswaschende Tätigkeit des Wassers im Löß entstanden und tragen die Spuren der elementaren Gewalt niedergehender Wassermassen. Die Bäume suchen Stütze und haben ein kräftiges Wurzelwerk entwickelt. Wie Krallen greifen die Wurzeln der Buchen in die steile Lößwand ein. Bei einer Tanne ist die Unterhöhlung so bedeutend, daß die Wurzeln wie Stühlchen aufsitzen und genügend Raum zum Tummeln der Erd- und Spukgeister gewähren. Nur durch Stufen ist es möglich, an den Rand einer Schlucht zu gelangen. Nach wenigen Schritten querfeldein gähnt die „Städtische Schlucht“ zu unseren Füßen. Der Hohlweg faßt nur eine Wagenspur; die Wände sind fast senkrecht und haben Nischen zum Ausweichen. Sie sind mit überhängenden Zweigen beschattet. An einer Stelle ist „Christus am Kreuz“ in der Lößwand herausgearbeitet worden.

Aus der schweigsamen düstern Schlucht steigt man gern wieder in die freie Gegend. Einen größeren Gegensatz gibt es wohl kaum: dort das Finstere, hier das Helle, dort das Begrenzte, hier das Unbegrenzte. An dem Aussichtspunkte genießt man einen herrlichen Rundblick. Der Annaberg zeigt sich in seiner schönen Kegelform. Die zum Gipfel führenden Wallfahrtswege laufen in einem Punkte zusammen und verstärken den Eindruck des hellschimmernden Klosters. Wir sind am Fuße des Berges und hören den Quellbach in der Tiefe rauschen. Rechts verhindert Poremba im engen Flußtal, links thront die Matka Boza-Kirche auf dem Leschnitzer Friedhof. Aus dem Grunde steigen zwei italienische Pappeln als Finger empor, weiter links starren 3 Gruppen schwarzer Kiefern, mehr rechts recken blendend weiße Birken ihre Stämme empor, und die Kronen mächtiger Linden wölben sich zum Dome. An den Hängen blühen alle Obstplantagen. Ein Windhauch streicht über die Blütenkronen zu unsern Füßen. Die Birken wiegen ihre Hängeäste. Die Buchen winken uns zu. Aller Zauber der Natur ist ausgegossen: „Es blüht das fernste, tiefste Tal.“

Begleitet von dem rauschenden Mühlenbach gelangen wir zum Friedhof und besuchen das Massengrab der im Putsch Gefallenen. Ein Teppich dunkler Stiefmütterchen deckt ihre Ruhestädte. Der Ort des Friedens wird nur vom leisen Vogelsang durchzittert. Wir sehen uns bald in einem tiefen Grunde, überschreiten den plätschernden Mühlenbach und kommen auf die Chaussee, die nach Annaberg führt. Von der Straße aus hat man einen umfassenden Blick auf das breite Odertal. Im blauen Dunst tauchen die dunklen Wälder auf; das fruchtbare Auenland der Oder legt sich wie ein Gürtel an das bergige Gelände an. Kreuz und quer ziehen weiße Baumreihen als Straßeneinfassung durch Felder und Wiesen. Die Stadt Leschnitz liegt ganz verträumt im Blattgrün und trägt ein weißes Festtagskleid zu Ehren der Maienkönigin.